Diotrephes, die Furcht und die Liebe. Andacht zum 3.5.2024

Andacht hören: https://c.gmx.net/@842115613865285676/ekDhx-ySR4S6O4dErwDVMw

Es gibt ein paar „Bücher“ in der Bibel, die sind schnell gelesen. Den „3. Johan­nes­brief“ schaffen Sie in unter 5 Minuten. Ob der Verfasser wirklich Johannes heißt, steht nicht drin, aber wir tun mal so.

Eine „christliche Gemeinde“, das ist in der Johannes-Zeit eine überschaubare Gruppe von Leuten, die sich regelmäßig in den Privat-Häusern trifft. Was passiert bei solchen Treffen? Sicher gehört dazu: Abendmahl feiern. Predigt oder Austausch. Beten. Man liest auch aus Briefen von Aposteln vor. Diese Briefe werden zwischen den Gemeinden herumgereicht.

Johannes schreibt hier aber nicht an eine ganze Gemeinde, sondern …

„… an den lieben Gaius, den ich lieb habe in der Wahrheit. Mein Lieber, ich wünsche, dass es dir in allen Stücken gut gehe und du gesund seist, so wie es deiner Seele gut geht“ (1-2).

Fast am Ende die Erklärung, warum der Brief so kurz ausfällt:

„Ich hätte dir viel zu schreiben. Aber ich will es nicht mit Tinte und Feder an dich schreiben. Ich hoffe aber, dich bald zu sehen. Dann wollen wir mündlich miteinander reden“ (13-14).

Aha! Johannes will Gaius sowieso demnächst persönlich treffen. Aber was gibt es denn vorher so Dringliches zu schreiben?

Es gibt Ärger: Johannes und ein paar Mitchristen hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die verstreuten christlichen Gemeinden zu besuchen, um mit ihnen den Austausch zu pflegen. Aber in der Gemeinde von Gaius stoßen diese Reisenden auf Misstrauen und Widerstand:

… Diotrephes, der unter ihnen der Erste sein will, weist uns ab. Darum, wenn ich komme, will ich ihn erinnern an seine Werke, die er tut. Denn er verleumdet uns mit bösen Worten und begnügt sich nicht einmal damit: Er selbst weist die Brüder ab und hindert auch die, die sie aufnehmen wollen, und stößt sie aus der Gemeinde.

Mein Lieber, nimm nicht das Böse zum Vorbild, sondern das Gute. Wer Gutes tut, der ist von Gott. Wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen. (9-11)

Es ist wie so oft im richtigen Leben: Immer Ärger mit dem Chef. Diotrephes ist der Chef in der Gemeinde von Gaius. Oder er hält sich dafür. Und: Er hat wirklich Einfluss: Er kann Gäste abweisen. Und er kann Leute aus der Gemeinde werfen, die Gäste aufnehmen.

Warum tut Diotrephes so was? Vielleicht fürchtet er als die Nummer Eins um seine Macht, wenn plötzlich andere kommen, denen dann womöglich die Herzen zufliegen. Oder Diotrephes fürchtet um die reine christliche Lehre. Wenn da welche von außen erscheinen, bringen sie vielleicht eine Irrlehre mit, und da ist es besser, sich abzuschotten. Oder Diotrephes fürchtet um das Geld. Denn wenn man allen durchreisenden Wanderpredigern Unterkunft gewährt, dann leben die ja auf Kosten der Gemeinde und ihrer Mitglieder. Geld, das man anderswo braucht.

Ob es nun um Macht, die reine Lehre oder die Kosten geht – es gibt einen gemeinsamen Nenner: die Furcht! Diotrephes fürchtet sich! Und zwar fürchtet er sich sehr. Sonst würde er nicht zu einer so radikalen Maßnahme greifen, Menschen aus der eigenen Gemeinde auszuschließen, weil sie diese „Eindringlinge“ beherbergen. Und wohl nur ein sehr geängstiger Diotrephes verleumdet die Wanderprediger – wobei wir nicht wissen: Macht Diotrephes das in böser Absicht, oder glaubt er wirklich, was er erzählt?

Gut, dass Johannes das bei seinem beabsichtigten Besuch mit Diotrephes persönlich klären möchte:

Darum, wenn ich komme, will ich ihn erinnern an seine Werke, die er tut. (10).

Vielleicht hat das später ja was geholfen. Vielleicht konnten sich Johannes und Diotrephes am Ende des Treffens in die Arme nehmen. Oder wenigstens die Hand geben. Das wäre ziemlich ideal. Vielleicht ließ sich aber auch nichts klären. Und vielleicht gab es kurz darauf zwei verschiedene christliche Gemeinschaften am selben Ort, die sich misstrauisch beäugten und viel aneinander zu kritisieren hatten.

Und warum schreibt Johannes all das dem Gaius?

  • Einmal, um ihn zu loben: „Mein Lieber, du handelst treu in dem, was du an den Brüdern tust, zumal an fremden. Sie haben deine Liebe bezeugt vor der Gemeinde“ (5-6).
  • Zum anderen: Johannes hat eine allgemeine und eine spezielle Bitte: „Mein Lieber, nimm nicht das Böse zum Vorbild, sondern das Gute! Wer Gutes tut, der ist von Gott. Wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen. Demetrius (Anm. DK: nicht Diotrephes!) hat ein gutes Zeugnis von jedermann und von der Wahrheit selbst. Und auch wir sind Zeugen und du weißt, dass unser Zeugnis wahr ist“ (V 11&12).

Die allgemeine Bitte: Gaius soll mit seiner Liebe zu den Fremden weiter­machen, also gastfreundlich sein, und sich nicht von Diotrephes einschüchtern las­sen. Die spezielle Bitte: Gaius soll einen gewissen Demetrius aufnehmen, der einen guten Ruf hat. Wahrscheinlich hat Demetrius den 3. Johannesbrief als sein Empfehl­ungsschreiben selbst im Gepäck.

Und die christliche Begründung: „Wer Gutes tut, der ist von Gott. Wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen.“ Nun ist es, gerade im Konflikt, manchmal nicht ganz klar, was das Gute und was das Böse ist, und schon gar nicht, wer die Gute und wer der Böse ist.

Ein Kriterium dafür fällt als Stichwort in diesem Brief: „Sie haben deine Liebe bezeugt vor der Gemeinde.“ Aha! Die Liebe!

Sie können sich selbst das ja gele­gentlich fragen: „Denke, fühle, handle ich gerade wie Gaius in der Liebe? Oder denke, fühle handle ich gerade wie Diotrephes aus Furcht?

Wo geht uns das was an? Mir sind zwei Bereiche eingefallen …

Erster Bereich: Glaubens-Gemeinschaften. Auch da gibt es manchmal kleine, sehr hierarchische Gruppen, wo Ton-angebende Menschen allzu besorgt über die „reine Lehre“ und wohl auch über die eigene Macht und Besserwisserei wachen. Die Konsequenz: Abschottung von Anderstickenden, Ausgrenzung von Anderstickenende.

Zweiter Bereich: Die Diotrephes-Fraktion in unserer Bundesrepublik-Gesell­schaft: Da werden Leute, die von außen kommen, pauschal misstrauisch beäugt und sollen am besten gleich wieder verschwinden. Die könnten ja sonst die Einfluss-Sphären verschieben (Furcht um die Macht), die „deutsche Leitkultur“ aufweichen (Furcht um die reine Lehre) und Unterstützungen in Anspruch nehmen (Furcht um Kosten).

Da möchte ich einfach den Johannes-Appell an Sie weitergeben: „Mein Lieber, nimm nicht das Böse zum Vorbild, sondern das Gute. Wer Gutes tut, der ist von Gott. Wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen.“

Oder anders: Handeln Sie mehr aus Liebe als aus Furcht! Und lassen Sie sich von den Drohungen der heutigen Diotrephesse nicht bange machen. Diotrephes ist ja selbst angstgesteuert. Sie bitte und um Gottes willen nicht!

Gott, dazu bitte ich Dich für heute um Deinen Geist: Dass die Liebe mein Fühlen, denken und Tun leitet. Und nicht Angst. Amen.


















































































Es
gibt ein paar „Bücher“ in der Bibel, die sind schnell gelesen. Den „3. Johan­nes­brief“
schaffen Sie in unter 5 Minuten. Ob der Verfasser wirklich Johannes heißt,
steht nicht drin, aber wir tun mal so.

Eine
„christliche Gemeinde“, das ist in der Johannes-Zeit eine überschaubare Gruppe
von Leuten, die sich regelmäßig in den Privat-Häusern trifft. Was passiert bei
solchen Treffen? Sicher gehört dazu: Abendmahl feiern. Predigt oder Austausch.
Beten. Man liest auch aus Briefen von Aposteln vor. Diese Briefe werden zwischen
den Gemeinden herumgereicht.

Johannes
schreibt hier aber nicht an eine ganze Gemeinde, sondern …

 



„… an den lieben Gaius, den ich lieb habe in der Wahrheit. Mein Lieber,
ich wünsche, dass es dir in allen Stücken gut gehe und du gesund seist, so wie
es deiner Seele gut geht“ (1-2).



 

Fast
am Ende die Erklärung, warum der Brief so kurz ausfällt:

 



„Ich hätte dir viel zu schreiben. Aber ich will es nicht mit Tinte und
Feder an dich schreiben. Ich hoffe aber, dich bald zu sehen. Dann wollen wir
mündlich miteinander reden“ (13-14).



 

Aha!
Johannes will Gaius sowieso demnächst persönlich treffen. Aber was gibt es denn
vorher so Dringliches zu schreiben?

Es
gibt Ärger: Johannes und ein paar Mitchristen hatten es sich zur Aufgabe
gemacht, die verstreuten christlichen Gemeinden zu besuchen, um mit ihnen den
Austausch zu pflegen. Aber in der Gemeinde von Gaius stoßen diese Reisenden auf
Misstrauen und Widerstand:

 



… Diotrephes, der unter ihnen der Erste sein will, weist uns ab. Darum,
wenn ich komme, will ich ihn erinnern an seine Werke, die er tut. Denn er
verleumdet uns mit bösen Worten und begnügt sich nicht einmal damit: Er selbst
weist die Brüder ab und hindert auch die, die sie aufnehmen wollen, und stößt
sie aus der Gemeinde.



Mein Lieber, nimm nicht das Böse zum Vorbild, sondern das Gute. Wer
Gutes tut, der ist von Gott. Wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen. (9-11)



 

Es
ist wie so oft im richtigen Leben: Immer Ärger mit dem Chef. Diotrephes ist der
Chef in der Gemeinde von Gaius. Oder er hält sich dafür. Und: Er hat wirklich
Einfluss: Er kann Gäste abweisen. Und er kann Leute aus der Gemeinde werfen,
die Gäste aufnehmen.

Warum tut Diotrephes so was? Vielleicht fürchtet er als die
Nummer Eins um seine Macht, wenn plötzlich andere kommen, denen dann womöglich
die Herzen zufliegen. Oder Diotrephes fürchtet um die reine christliche Lehre.
Wenn da welche von außen erscheinen, bringen sie vielleicht eine Irrlehre mit,
und da ist es besser, sich abzuschotten. Oder Diotrephes fürchtet um das Geld.
Denn wenn man allen durchreisenden Wanderpredigern Unterkunft gewährt, dann
leben die ja auf Kosten der Gemeinde und ihrer Mitglieder. Geld, das man
anderswo braucht.

Ob
es nun um Macht, die reine Lehre oder die Kosten geht – es gibt einen
gemeinsamen Nenner: die Furcht! Diotrephes fürchtet sich! Und zwar
fürchtet er sich sehr. Sonst würde er nicht zu einer so radikalen Maßnahme
greifen, Menschen aus der eigenen Gemeinde auszuschließen, weil sie diese „Eindringlinge“
beherbergen. Und wohl nur ein sehr geängstiger Diotrephes verleumdet die
Wanderprediger – wobei wir nicht wissen: Macht Diotrephes das in böser Absicht,
oder glaubt er wirklich, was er erzählt?

Gut,
dass Johannes das bei seinem beabsichtigten Besuch mit Diotrephes persönlich
klären möchte:

 



Darum, wenn ich komme, will ich ihn erinnern an seine Werke, die er
tut. (10).



 

Vielleicht
hat das später ja was geholfen. Vielleicht konnten sich Johannes und Diotrephes
am Ende des Treffens in die Arme nehmen. Oder wenigstens die Hand geben. Das
wäre ziemlich ideal. Vielleicht ließ sich aber auch nichts klären. Und
vielleicht gab es kurz darauf zwei verschiedene christliche Gemeinschaften am
selben Ort, die sich misstrauisch beäugten und viel aneinander zu kritisieren
hatten.

 

Und
warum schreibt Johannes all das dem Gaius?

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Einmal, um ihn zu loben: „Mein Lieber, du handelst treu in dem,
was du an den Brüdern tust, zumal an fremden. Sie haben deine Liebe bezeugt vor
der Gemeinde“ (5-6).

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Zum anderen: Johannes hat eine allgemeine und eine spezielle Bitte:
„Mein Lieber, nimm nicht das Böse zum Vorbild, sondern das Gute! Wer Gutes tut,
der ist von Gott. Wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen. Demetrius (Anm.
DK:
nicht Diotrephes!) hat ein gutes Zeugnis von jedermann und von
der Wahrheit selbst. Und auch wir sind Zeugen und du weißt, dass unser Zeugnis
wahr ist“ (V 11&12).

 

Die allgemeine Bitte: Gaius soll mit seiner
Liebe zu den Fremden weiter­machen, also gastfreundlich sein, und sich nicht
von Diotrephes einschüchtern las­sen. Die spezielle Bitte: Gaius soll
einen gewissen Demetrius aufnehmen, der einen guten Ruf hat. Wahrscheinlich hat
Demetrius den 3. Johannesbrief als sein Empfehl­ungsschreiben selbst im Gepäck.

Und die christliche Begründung: „Wer Gutes tut,
der ist von Gott. Wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen.“ Nun ist es,
gerade im Konflikt, manchmal nicht ganz klar, was das Gute und was das Böse
ist, und schon gar nicht, wer die Gute und wer der Böse ist.

Ein Kriterium dafür fällt als Stichwort in diesem
Brief: „Sie haben deine Liebe bezeugt vor der Gemeinde.“ Aha! Die Liebe!

Sie können sich selbst das ja gele­gentlich fragen:
„Denke, fühle, handle ich gerade wie Gaius in der Liebe? Oder denke,
fühle handle ich gerade wie Diotrephes aus Furcht?

 

Wo
geht uns das was an? Mir sind zwei Bereiche eingefallen …

Erster
Bereich:
Glaubens-Gemeinschaften.
Auch da gibt es manchmal kleine, sehr hierarchische Gruppen, wo Ton-angebende
Menschen allzu besorgt über die „reine Lehre“ und wohl auch über die eigene
Macht und Besserwisserei wachen. Die Konsequenz: Abschottung von
Anderstickenden, Ausgrenzung von Anderstickenende.

Zweiter
Bereich:
Die Diotrephes-Fraktion in
unserer Bundesrepublik-Gesell­schaft: Da werden Leute, die von außen kommen,
pauschal misstrauisch beäugt und sollen am besten gleich wieder verschwinden. Die
könnten ja sonst die Einfluss-Sphären verschieben (Furcht um die Macht), die
„deutsche Leitkultur“ aufweichen (Furcht um die reine Lehre) und
Unterstützungen in Anspruch nehmen (Furcht um Kosten).

Da
möchte ich einfach den Johannes-Appell an Sie weitergeben: „Mein Lieber,
nimm nicht das Böse zum Vorbild, sondern das Gute. Wer Gutes tut, der ist von
Gott. Wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen.“

Oder
anders: Handeln Sie mehr aus Liebe als aus Furcht! Und lassen Sie sich von den
Drohungen der heutigen Diotrephesse nicht bange machen. Diotrephes ist ja
selbst angstgesteuert. Sie bitte und um Gottes willen nicht!

 



Gott, dazu bitte ich Dich für heute um Deinen Geist: Dass die Liebe mein
Fühlen, denken und Tun leitet. Und nicht Angst. Amen.



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Aus der Haut fahren. Andacht zum 26.4.2024

Andacht hören:

https://c.gmx.net/@842115613865285676/st3Cf1sMRVugFIH7OF-JRg

Es hat schlimme Nachrichten gegeben für Frau Meier. Diese Nachrichten haben viel in Bewegung gebracht. Manche Veränderungen. Eine Veränderung: „Ich rege mich nicht mehr so schnell auf. Ich fahre nicht mehr so schnell aus der Haut!“

Für Frau Meier ist das eine positive Veränderung. Angestoßen durch eine von diesen schlimmen Nachricht. Wieso? Weil schlimme Dinge einem neu klarmachen können, was wirk­lich wichtig ist im Leben – und was nicht. Das Schlimme kann einem zeigen, dass manch ein Aufreger vorher im Vergleich eben nur Kleinkram ist.

Ich bleibe bei dieser Formulierung hängen – „aus der Haut fahren“. Frau Meier und ich philo­sophieren darüber ein bisschen. Stellen Sie sich das mal bildlich vor: Sie fahren aus der Haut, und nun liegt sie da hinten, Ihre Haut. Sie sind jetzt nicht mehr bei sich, Sie sind „außer sich“.

Und jetzt haben Sie ein dreifaches Problem …

  1. Bis eben noch war die Haut die klare Grenze von Innen und Außen, von „das bin ich“ und „das bin nicht mehr ich“. Aber wenn Sie aus der Haut gefahren sind, dann wird das unklar.
  2. Ohne Haut kann Ihnen etwas allzu nahegehen. Es kann Sie verletzen, was ei­gentlich doch gar nicht zu Ihnen gehört, was Sie eigentlich nicht so berühren müsste. Denn: Die Haut als Grenze ist ein Schutz. Wenn Sie sich verletzen, mag das schlimm sein. Aber ohne Haut wäre es schlimmer. Wenn Sie aus der Haut gefahren sind oder sehr dünnhäutig, dann fehlt dieser Schutz.
  3. Die Haut ist normalerweise die Kontaktfläche zu Ihrer Außenwelt. Wenn Sie außer sich sind, sind Sie kaum mehr berührbar, kaum etwas kann Ihnen noch Halt ge­ben, Sie stützen, Sie wärmen.

Herzlichen Glückwunsch dazu, Frau Meier, dass Sie nicht mehr so schnell aus der Haut fahren! Dass Sie mehr bei sich sind! Dass Sie klarer unterscheiden können, was „Ich“ ist und was „Nicht-Ich“ ist, was innen und was außen ist. Dass Sie berührbarer geworden sind!

Und was wünsche ich Herrn Klute? Ich wünsche mir, dass ich überhaupt sensibler dafür werde, wo ich gerade jetzt bin: Bin ich in mir oder wenigstens bei mir? Oder bin ich „außer mir“, habe mich in den Dingen oder in den anderen Menschen verloren – und bin dann eben auch verletzlicher? Schutzlos?

Ich wünsche mir weiter, dass ich immer wieder zu mir zurückfinde. Zum Beispiel, indem ich eine Aus-der-Haut-fahr-Situation verlasse. Auf meinen Atem achte. Zu Gott sage: „Gott, hier bin ich!“

Ich wünsche mir die Wahl zwischen dünner Haut und dickem Fell, und dass meine Wahl meistens gut ausfällt, dass es „passt“.

Als die Israeliten auf dem Weg von der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit das Schilfmeer durchzogen haben, lagern sie wenig später am Gottesberg Sinai. Mose steigt allein auf den Berg und hat dort eine Gottesbegegnung.

Als Mose (…) den Berg Sinai hinabstieg, wusste er nicht, dass sein Gesicht einen strahlenden Glanz bekommen hatte, während der HERR mit ihm sprach. Aaron und das ganze Volk sahen das Leuchten auf Moses Gesicht und fürchteten sich, ihm nahe zu kommen. (Exodus 34, 29-30)

Aha! In der Begegnung mit Gott hat sich die Haut geändert! Jetzt denken Sie viel­leicht: „Na klasse! Toller Trick, um mehr Ausstrahlung zu bekommen, um auch von meinen Mitmenschen als große Leuchte erkannt zu werden!“

Aber dann überlesen Sie bitte nicht: Dieses leuchtende Angesicht hält die anderen auf Abstand, denn sie fürchten sich. Wenn Sie weiterlesen, erfahren Sie zudem, dass Mose immer wieder sein Gesicht bedeckt aus Rücksicht auf die anderen.

Für unseren Zusammenhang will ich diese Episode nicht so verstanden wissen, dass die Gottesbegegnung einen verlässlich zum Strahlemann oder zur Strahlefrau macht – Strahleleute sind mir ohnehin suspekt. Aber so will ich die Episode verstehen, dass die Begegnung mit Gott meine Haut stärkt. – Als die Grenze zwischen Innen und Außen, als das Organ meiner Berührbarkeit, als mein Schutz. Und dass die Haut in diesem Sinne von mir selbst besser wahrgenommen wird.

Kein Mensch, auch kein Mose, kann eine Begegnung mit Gott „machen“. Aber Mose kann etwas beitragen: Er fährt nicht aus der Haut, sondern er „fährt“ aus der Menge heraus. Er zieht sich zurück an einen einsamen, aber nicht „gottverlassenen“ Ort. Er sucht die Zwiesprache mit Gott. Und er findet sie. Darin kommt er zu sich und zu Gott – beides ist wohl kaum zu trennen. Eine Erfahrung, die unter die Haut geht und seine Haut verändert.

Also: Suchen Sie doch immer neu die Zwiesprache mit Gott! Sie kommen dabei vermutlich Gott näher – und sich selbst!

Und wenn Sie das nächste Mal aus der Haut fahren, vergessen Sie nicht, beizeiten wieder zurück­zukommen!

Gott, lass doch nicht zu, dass ich mich im Außen verliere! Hilf, dass ich zurück finde zu mir selbst und zu Dir! Amen.

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Der verborgene Christus. Andacht zum 19.4.2024

Andacht hören:

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Sind Sie Christin, sind Sie Christ? Falls ja: Was macht Sie dazu? Da gibt es ganz unterschiedliche Antworten, die alle nicht ganz falsch sind und nicht ganz richtig. Vielleicht steht’s in Ihrer Steuerkarte. Oder: Sie sind getauft. Vielleicht haben Sie bestimmte christliche Glaubensüberzeugungen. Vielleicht einen christlichen Lebens­wandel. Vielleicht bestimmte Frömmigkeitsformen.

Hier eine weitere Antwort, die ich, mit Verlaub, überzeugender finde als die Steuerkarte, und die hat etwas mit dem Wort „Christ“ zu tun. Da steckt nämlich „Christus“ drin. Vorschlag: Christinnen und Christen, das sind diejenigen, die sich in Verbindung zu Jesus Christus sehen und erleben.

Da schließt sich dann gleich die Frage an: Wie und wo habe ich denn Verbindung mit Jesus Christus? Wo begegnet Christus mir? Da fällt mir zuerst ein: Im Gebet. In Beschäftigung mit den Geschichten um ihn herum. Und es gibt ein paar weitere und schon sehr alte Antworten:

  • Im „Wort“. Eine Predigt, die mich anspricht, ein Gespräch, das mich berührt, ein Bibelwort, das „trifft“.
  • Im Abendmahl: „Dies ist mein Leib, der für Euch gegeben wird … Dies ist mein Blut, das für Euch vergossen wird“.
  • In der Taufe. Dazu Paulus: „in seinen (nämlich Christi) Tod getauft“.
  • In christlicher Gemeinschaft. Wieder Paulus: „Ihr seid der Leib Christi!“
  • Im Geist. Nämlich in dem Geist Christi, von dem ich mich vielleicht erfüllt, bewegt, gestärkt fühle.

Eine weitere, sehr spezielle Antwort finden wir in Matthäus 25, in der Szene vom großen Gericht am Ende der Zeiten:

Alle Völker der Erde werden vor ihm versammelt werden, und er wird die Menschen in zwei Gruppen teilen, so wie ein Hirt die Schafe von den Böcken trennt. Die Schafe wird er auf seine rechte Seite stellen und die Böcke auf seine linke Seite.

Dann wird der König zu denen auf seiner rechten Seite sagen: ›Kommt her! Euch hat mein Vater gesegnet. Nehmt Gottes neue Welt in Besitz, die er euch von allem Anfang an zugedacht hat. Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich bei euch aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir etwas anzuziehen gegeben; ich war krank und ihr habt mich versorgt; ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht.‹

Dann werden die, die den Willen Gottes getan haben, fragen: ›Herr, wann sahen wir dich jemals hungrig und gaben dir zu essen? Oder durstig und gaben dir zu trinken? Wann kamst du als Fremder zu uns und wir nahmen dich auf, oder nackt und wir gaben dir etwas anzuziehen? Wann warst du krank oder im Gefängnis und wir besuchten dich?‹ Dann wird der König antworten: ›Ich versichere euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan.‹

Wie begegnet Christus mir? Antwort hier: In den Hungrigen, in den Durstigen, in den Fremden, den Nackten, den Kranken, den Gefangenen. Christus begegnet mir in Menschen, die bedürftig sind. Was übrigens nicht heißt, dass diese Menschen immer besonders sympathisch oder dankbar sind.

Die Pointe: Die „Schafe“, die gut zu diesen sonst so unbeachteten Be­dürf­tigen waren, haben es überhaupt nicht geschnallt, mit wem sie es denn da eigentlich zu tun hatten. Und später die „Böcke“, die sich nicht gekümmert haben, die haben es auch nicht geschnallt. Das lässt befürchten: Auch nach dieser Andacht werden Sie wahrscheinlich weiterhin nicht Christus erkennen in einem bedürftigen Mit­menschen. Sie werden einfach so für ihn da sein. Oder eben nicht.

Nun ist diese Gerichts-Szene ja ziemlich zugespitzt. Es gibt nur die Schafe und die Böcke. Das ist schwarz-weiß. Meine Wahrheit liegt im Grau-Bereich: Manchmal tue ich Bedürftigen Gutes. Manchmal kann ich nicht. Oder ich will nicht. Oder es sind zu viele, ich kann nicht die ganze Welt retten. Manchmal sehe ich die Not gar nicht, manchmal will ich sie nicht sehen. Manchmal gibt es gute Gründe, eine Hilfe nicht zu leisten, das Helfen anderen zu überlassen oder der Selbstverantwortung des Betroffenen. Also: Manches an mir ist gut und darf bleiben, und anderes an mir – na, da ist es dann gut, wenn es nicht für die Ewigkeit ist.

Die Szene ist auch an einer anderen Stelle sehr zugespitzt: Hier die Schafe und Böcke als die potentiellen Helfer – und dort die Bedürftigen, die „geringsten Brüder und Schwestern“. In echt sieht es wohl anders aus: Es gibt wahrscheinlich keinen Menschen, der immer nur zu geben hat, aber nie bedürftig ist. Es gibt wohl auch keinen Menschen, der immer nur bedürftig ist und so gar nichts zu geben hat.

Das heißt: Wenn Sie bei dieser Szene nur die Frage haben: „Bin ich mehr Schaf oder mehr Bock?“, dann greift das zu kurz. Sondern: „Wo bin ich hungrig, durstig, fremd, ohne den Schutz der Kleidung, wo bin ich krank, was hält mich gefangen?“ Ich will damit keineswegs die Unterschiede einebnen. Die Nöte des Königs im Schloss sind nicht dieselben wie die der Regimekritikerin im iranischen Gefängnis. Trotzdem finde ich es wichtig, dass Sie und ich als relative Normalbürger beide Seiten bei uns im Blick haben.

Bei mir als potentiellem Helfer begegnet mir Christus im Bedürftigen. Und: Durch mich als Bedürftigem begegnet Christus meinen Mitmenschen! Aber: Das kann Christus nur, wenn ich mich in meiner Bedürftigkeit nicht einschließe, sondern mich einzelnen Mitmenschen zumute!

Wie gesagt: In der Szene wissen die Schafe wie die Böcke nicht, dass ihnen in den Bedürftigen Christus begegnet ist. Und die Bedürftigen selbst wussten wohl auch nicht, dass sie den anderen zum unerkannten Christus wurden. Und wahrscheinlich werden Sie und ich das auch nicht schnallen.

Aber vielleicht ja manchmal doch: Dass mein Gefühl zu den anderen und zu mir selbst, dass mein Umgang mit den anderen und mit mir selbst eine Christus-Dimension hat. Auch wenn das vielleicht nicht so augenfällig ist wie Glaubensge­spräch, Taufe, Abendmahl, christliche Gemeinschaft. Und die Steuerkarte.

Christus, lass nicht zu, dass mein Glaubensleben und mein sonstiges Leben mehr oder weniger unverbunden nebeneinanderstehen. Durchdring Du alle Welten, in denen ich mich im Lauf der Woche aufhalte und bewege! Amen.

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Was glauben meine Schildkröten. Andachts-Update zum 12.4.2024

Andacht hören:

Geh hin zur Schildkröte, du Tor, sieh an ihr Tun und lerne von ihr! (Marginata 2, 5)

Vor nun schon ein paar Jahren ist es mir in einer Gesprächsrunde klargeworden: Die vollkommenste Liebe ist die, die ich zu meinem Schildkröten-Nachwuchs habe. Wieso? Weil die Schildkröten mir nichts zurückgeben können. Weil ich das nicht mal von ihnen erwarte. Es ist einfach nur schön, dass sie da sind.

Und ich, ich bin für sie da: Am Anfang ihres kleinen Lebens habe ich die Eier ausgegraben und in den Brutkasten gelegt. Sonst wäre das nichts geworden mit ihnen. Und nun pflücke ich für sie täglich Löwenzahn und andere Kräuter, gebe ihnen Wasser, und bei Regen decke ich ihr Gehege ab. Jedenfalls bei viel Regen und wenn ich es rechtzeitig merke.

Und was denkt der Schildkröten-Nachwuchs von mir? Da gibt es ganz unterschiedliche Haltungen. Es finden unter ihnen immer wieder Diskussionen statt, ob es dieses höhere Wesen überhaupt gibt. Das Gros der Schildkröten hält es für gut möglich, aber die Frage ist ihnen letztlich ziemlich egal. Mag sein, dass sie das höhere Wesen irgendwie „brauchen“. Aber was sie für sich nicht brauchen, ist: Sich darüber Gedanken zu machen, Kontakt zum höheren Wesen aufzunehmen und so. Sie kriegen ihren Schildkröten-Alltag auch ohne das höhere Wesen ganz gut auf die Reihe. Schön für sie, dass sie dazu das Nötige haben. Einige macht das richtig dankbar, auch wenn sie für diesen Dank keine Adresse haben.

Mehrfach gab es schon eine blinde kleine Schildkröte. Von Geburt, äh, Schlupf an. So ein blindes Tier ist in der Frage des höheren Wesens eher skeptisch. Jedenfalls, wenn die blinde Schildkröte nur glaubt, was sie sieht. Oder wenigstens riecht. Löwenzahn riecht sie, Wasser ertastet sie. Und das alles ist nach festen Gesetzmäßigkeiten immer wieder da. Irgendeinen Willen dahinter zu vermuten, das ist blanke Spekulation, meint sie. Damit befasst sich eine blinde Schildkröte nicht. Oder sie ist kämpferisch dagegen.

Auch unter den Sehenden gibt es Skepsis. Wenn es dieses höhere Wesen geben sollte und es ein gutes Wesen ist, wie kann es dann sein, dass einzelne andere blind sind? Dass im Brutkasten aus manchem Ei erst gar kein Tier herausschlüpft? Dass manche Schildkröten auf den Rücken fallen – und sie sich mühsam allein wieder umdrehen müssen – und keine große Hand übernimmt das? Dass manchmal die Abdeckung fehlt und sie nass werden? Selbst über ungelegte Eier wird manchmal engagiert diskutiert.

Wieder andere sind sich des höheren Wesens sehr sicher. Nun bin ich als Mensch viel zu groß, als dass eine kleine Schildkröte mich im Ganzen sehen könnte, deswegen gibt es da andere Vor­stellun­gen. Besonders beliebt: Das höhere Wesen müsste so eine Art Riesen-Land­schild­kröte sein, Vater und Mutter zugleich. Und diese Riesen-Landschildkröte hat klare Vorstellungen davon, wie sie, die Kleinen, zu leben haben und wo sie langlaufen müssen. Es gibt da richtig ausgetretene Pfade. Sie, die Riesen-Landschildkröte, hat natürlich den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als ein Auge auf jedes einzelne der Kleinen zu haben. Die Meinungen gehen auseinander, ob es ein eher kritischer oder eher liebevoller Blick ist – oder beides.

Andere meinen, das höhere Wesen müsse völlig anders sein und in einer ganz anderen Welt leben. Eine Welt, die den kleinen Landschildkröten in einem Gärtchen in Münster ganz unvorstellbar ist. So eine Riesen-Wasserschildkröte in den Ozeanen vielleicht. Darüber ließe sich sonst nicht viel mehr sagen.

Es gibt auch ein Ritual, das die Schildkröten ausüben, egal, ob sie an ein höheres Wesen glauben oder nicht, und in welcher Weise sie daran glauben: Zu bestimmten Zeiten bei Sonnenschein bringen sie ihren Panzer in eine schräge Haltung, die sich am Sonnenlicht orientiert. Ein ganz praktischer Nutzen dieser Zeit der Stille und der Ausrichtung nach oben erschließt sich dem Betrachter nicht auf Anhieb. Man munkelt aber, dass es den Tieren Wärme und Kraft gibt, so dass sie danach verändert in den weiteren Tag gehen.

Wenn die Tage kürzer werden, haben auch die Schildkröten den Zenit ihrer Vitalität über­schritten. Sie werden ruhiger, lassen sich seltener sehen, fressen kaum oder gar nicht mehr.

Dann kommt die Zeit des Winterschlafs. Dafür steht im kalten Keller eine große Holzkiste, zu der ich sie tragen werden. Dass der Winterschlaf kommt, ahnen auch diejenigen Tiere, die noch nie einen mitgemacht haben. Das bereitet einigen ziemliche innere Unruhe. Deshalb gibt es auch die These: Man erzählt sich die Geschichte von der großen Landschildkröte oder von der großen Wasserschildkröte nur deswegen, um mit diesem unerfreulichen, angstbesetzten Thema „Winterschlaf“ irgendwie klarzukommen.

Für mich selbst ist das mit dem „Winterschlaf“ nicht mehr so dramatisch: Es war zwar in den ersten Jahren ein komisches Gefühl, die Tiere einfach so im kalten Keller abzulegen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht: Jede Schildkröte, die in die Holzkiste musste, hat im Folgejahr neu die Frühlingssonne zu sehen bekommen.

Ja, ja, meine kleinen Schildkrötenkinder mit ihren teils überraschenden Gedanken, die sie sich so machen in ihren kleinen Köpfchen. Sie können mir nichts „geben“. Aber ich freue mich, dass es sie gibt, dass sie leben. Ich habe sie lieb. Alle. Besonders die Blinden.

Übrigens: Die oben angegebene Textstelle ist KEIN Bibelzitat. „Testudo marginata“ ist nämlich die Breitrandschildkröte. Modell für diese kleine Eigenkreation war Sprüche 6, 6: „Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh an ihr Tun und lerne von ihr!“ Schildkröten kommen nämlich in der Bibel nicht vor. Nichts ist perfekt.

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Sich einen Namen machen. Andacht zum 5.4.2024

Andacht hören:

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Haben Sie einen Namen? Dumme Frage, na klar. Und wer kennt Ihren Namen? Da gibt es Unterschiede. Angehörige, Freunde und Bekannte, aber auch Feinde werden ihn nicht so schnell vergessen. Und dann gibt es noch Popstars, Politiker, Autorinnen, Feldherrn, Fußballspielerinnen usw., die haben einen großen Namen, die kennt fast jeder. Oder – je nach Interessenlage – jedenfalls viele.

Wenn man sagt: „Die und die hat einen Namen!“, geht es genau darum „Einen Namen haben“ bedeutet: Viele kennen diesen Name, dieser Mensch ist bekannt, vielleicht berühmt. Manchmal ist das auch ganz praktisch wichtig: Wenn ich als Politiker keinen Namen habe, werde ich nicht gewählt. Wenn ich ein Popp-Star bin, und kaum wer kennt meinen Namen, werden die Konzerte nicht ausverkauft.

Aber bekannt zu sein, hat auch unabhängig von einem konkreten Nutzen Wert. Wenn mein Name fällt, und dauernd fragt jemand: „Wer ist das denn?“, ist das schon frustrierend. Und umgekehrt: Wenn mich jemand mit Namen anspricht, verstärkt das den Eindruck: Ich bin für den anderen Dirk Klute, und nicht 0-8-15. Ich bin gemeint. Meine Zahnärztin z.B. redet mich öfter mit Namen an. Mir scheint, die Behandlung fühlt sich dadurch anders an.

Nun kann man nicht nur als einzelne Person, sondern auch als Kollektiv einen Na­men haben oder einen großen Namen anstreben. Zum Beispiel als Erstliga-Fuß­ballverein. Oder überall sonst, wo ein Team, eine größere Gruppe, eine Schicht viel auf sich hält, besonders, wo man sich in Konkurrenz zu anderen sieht und besser sein will. Manchmal muss ein großer Name auch herhalten als Über-Kompensation der eigenen Kleinheit. Zum Beispiel: Im Zeitalter des Imperialismus hat das deutsche Kaiserreich nicht viele Kolonien abbekommen. Die Deutschen hatten stattdessen den groß­kotzigen Spruch „Am deutschen Wesen / soll die Welt genesen!“ Leider geht mit solch einem Namen dann schnell einher: Nicht Ruhm und Ehre, sondern Angst und Schrecken …

In der Bibel steht fast ganz vorn (Genesis 11) eine Geschichte mit dem gescheiterten Versuch der Menschheit, sich einen Namen zu machen. Ich meine den „Turmbau zu Babel“. Die Begründung für dieses Prestige-Projekt: „Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen!“ Doch mitten in dem Vorhaben gerät das Projekt ins Stocken: Die Menschen verstehen einander nicht mehr. Sie verteilen sich nun über die ganze Erde. Und eine Turm-Ruine bleibt zurück. Ein Mahnmal gegen Überheblichkeit.

Ich verdanke Frank Kohlmeyer aus Münster nun die Beobachtung, dass der „Name“ im folgenden Kapitel (Genesis 12) noch einmal auftaucht. Das ist die Geschichte, wo Gott Abram anspricht und ihn auffordert, noch auf seine alten Tage aufzubrechen in ein neues Land. Gottes Verheißung über diesem Aufbruch: „Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.“ Ein großer Name. Tatsächlich: Der Name des Nomaden Abram (später: Abraham) von vor ca. 3 ½ Jahrtausenden ist bis heute sehr bekannt – Abraham als Stammvater des Volkes Israel, als Teil des Stammbaums Jesu, als Patriarch bei allen drei monotheistischen Religionen: Judentum, Christentum, Islam. Man spricht auch von den „abrahamitischen“ Religionen.

Die Pointe ist: Die Leute aus Babel haben es auf einen großen Namen angelegt. Sie wollten sich diesen Namen mit etwas ganz Großartigem erschaffen – und sind gescheitert. Bei Abraham ist es umgekehrt: Der hat es überhaupt nicht auf einen großen Namen angelegt – und bekommt ihn. Nicht selbst erarbeitet, sondern von Gott bekommt er diesen großen Namen. Und zwar geschenkt.

OK, und was heißt das jetzt für mich? Dass ich vielleicht doch noch so berühmt werde wie Abraham? Ohne Turmbau und andere Großartigkeiten? Sondern aus Gottes Gnade?

Antwort: Das ist extrem unwahrscheinlich. Aber die Frage selbst ist problematisch. Denn wenn ich so frage, bin ich immer noch ziemlich scharf darauf, einen großen Namen zu kriegen, wenn auch von Gottes Gnaden.

Was hilft da? Antwort: Jesaja 43, 1! Da steht nämlich: „Fürchte Dich nicht, denn ich habe dich erlöst! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!“

Eigentlich sind da diejenigen Juden angesprochen, die um das Jahr 540 v.Chr. herum in babylonischer Verbannung sind und denen Gott durch den Propheten die Wende zum Guten ankündigt. Aber ich finde, ich darf das auch auf mich beziehen – zumal das mein Taufspruch ist. Und das bedeutet das: Wichtig ist, dass Gott meinen Namen kennt und dass Gott mich mit Namen anspricht, also mich persönlich meint. Es kann sein, dass andere Menschen meinen Namen vergessen. Es kann in einer Part­nerschaft irritieren, wenn der eine die andere mit dem falschen Vornamen an­spricht. Das alles wird Gott nicht passieren, darauf ist Verlass.

Kurz und knapp, nehmen Sie doch aus dieser Andacht mit:

  • Sprechen Sie ruhig auch mal andere mit Namen an.
  • Betrachten Sie es als Ihre Aufgabe, dass die Menschen in Ihrem Umfeld Ihren Namen nicht vergessen. Total-Rückzug ist meistens Mist. Einen „kleinen“ Namen sollten Sie sich schon erhalten.
  • Nehmen Sie Abstand davon, sich einen großen Namen machen zu wollen. Außer Sie wollen in den Bundestag gewählt werden oder die Halle Münsterland füllen.
  • Vor allem: Nehmen Sie mit, dass Gott Ihren Namen kennt und Sie heute und in Ewigkeit beim Namen ruft.

Gott, das lass mir doch nie aus dem Sinn kommen, dass Du meinen Namen kennst, dass Du mich meinst und mich ansprichst.

Gott, Du weißt aber auch, wie nachlässig ich Dir manchmal antworte – in der Stille; mit meinen Worten; mit meinem Leben. Ich gelobe keine Besserung, denn ich könnte den Mund zu voll nehmen. Aber ich bitte Dich weiter um Geduld mit mir. Amen.

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Oster-Blindheit: Der lange Weg der Heilung

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Am Ostersonntag gingen zwei, die zu den Jüngern von Jesus gehört hatten, nach dem Dorf Emmaus, das 12 Kilometer von Jerusalem entfernt lag. Unterwegs unterhielten sie sich über alles, was geschehen war.

Als sie so miteinander sprachen und hin und her überlegten, kam Jesus selbst hinzu und ging mit ihnen. Aber sie erkannten ihn nicht; ihre Augen wurden gehalten.

Jesus fragte sie: „Worüber redet ihr denn so erregt unterwegs?“ Da blieben sie stehen und blickten ganz traurig drein. Und der eine sagte: „Du bist wohl der Einzige in Jerusalem, der nicht weiß, was dort in diesen Tagen geschehen ist?“ – „Was denn?“, fragte Jesus. „Das mit Jesus von Nazareth“, sagten sie. „Er war ein Prophet. In Worten und Taten hat er vor Gott und dem ganzen Volk seine Macht erwiesen. Unsere führenden Priester und die anderen Ratsmitglieder haben ihn zum Tod verurteilt und ihn ans Kreuz nageln lassen. Und wir hatten doch gehofft, er sei der erwartete Retter, der Israel befreien soll!“ (…)

Da sagte Jesus zu ihnen: „Was seid ihr doch schwer von Begriff! Warum rafft ihr euch nicht endlich auf zu glauben, was die Propheten gesagt haben? Musste der versprochene Retter nicht dies alles erleiden und auf diesem Weg zu seiner Herrschaft gelangen?“ Und Jesus erklärte ihnen die Worte, die sich auf ihn bezogen, von den Büchern Moses und der Propheten angefangen durch die ganzen Heiligen Schriften.

Inzwischen waren sie in die Nähe von Emmaus gekommen. Jesus tat so, als wollte er weitergehen. Aber sie ließen es nicht zu und sagten: „Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt!“ Da folgte er ihrer Einladung und blieb bei ihnen.

Als er dann mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, sprach das Segensgebet darüber, brach es in Stücke und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn. Aber im selben Augenblick verschwand er vor ihnen. Sie sagten zueinander: „Brannte es nicht wie Feuer in unseren Herzen, als er unterwegs mit uns sprach und uns den Sinn der Heiligen Schriften aufschloss?“ Und sie machten sich sofort auf den Rückweg nach Jerusalem. (aus Lukas 24)

Ich habe geschummelt. Ich habe die Geschichte anfangen lassen mit „Am Ostersonntag“. Eigentlich heißt es da: „Am selben Tag“. Das versteht man nur, wenn man gelesen hat, was davor berichtet wird. Deswegen: „Am Ostersonntag“. Dann wissen Sie, welcher Tag gemeint ist.

Aber: Unsere beiden Wanderer nach Emmaus wissen genau das nicht. Für sie ist gefühlt Karfreitag: Ihnen steht der furchtbare Tod Jesu vor Augen. Sie können an nichts anderes als an diese schrecklichen Ereignisse denken. Mit Jesus sind auch ihre Träume, Pläne, Lebensziele gestorben. Ihre vom Licht der Hoff­nung durchflutete Welt, in der sie noch vor einer Woche lebten, die war beinahe schlagartig untergegangen. Das „Reich Gottes“, das Jesus ihnen ins Herz gepflanzt hatte, das war nun nichts mehr wert. Und der Glaube an einen liebenden, nahen Gott? Futsch. Eine gerechte Gesellschaft? Eine von Liebe bestimmte Gemeinschaft? Das Ende von Unterdrückung und materieller Not? Alles ein schöner Traum, aus dem sie nun erwacht sind. Jetzt sind die beiden hart in der Wirklichkeit aufgeschlagen. Und nun: Nur weg von Jerusalem, diesem Ort der ermordeten Hoffnung! Und na ja, irgendwie muss das Leben ja trotzdem weitergehen …

Ich bin mir sicher: Wer schon ein paar Jahrzehnte hinter sich hat, hat es mehr als einmal erlebt, wie das ist, so in der Wirklichkeit aufzuschlagen: Wenn die große Liebe zer­bricht. Wenn der Tod zuschlägt. Wenn berufliche Träume zerplatzen. Wenn eine Krankheit die Lebensplanung zertritt. Wenn alles Engagement für die gesell­schaftlichen Ideale zu verpuffen scheint. Wenn ich auf dem Lebensweg völlig falsch abgebogen bin und es nicht wiedergutmachen kann. Wenn der „liebe“ Gott zum Feind wird oder unerreichbar weit weg ist …

Absolut desillusionierend. Da sind Sie nun hart in der Realität aufgeschlagen und denken: „Früher, da war ich naiv, da hatte ich meine Träume mit der Wirklichkeit verwechselt. Heute weiß ich, wie es wirklich ist.“ – Niederschlagende Erfahrungen, die einen verändern: Momente der Melancholie oder des Fatalismus. Oder Sie verhärten innerlich. Hart zu sich selbst. Hart zu den Mitmenschen. Hart überhaupt zu allem, was schön ist. Schließlich kann man ja dem Schönen nicht trauen, man wird doch nur enttäuscht. Oder Sie leben nur noch in der Vergangenheit, haben vielleicht Ihre Wohnung und Ihre Seele zum Museum gemacht. Nicht jedem und nicht immer gelingt es, aus den Trümmern eigener Träume etwas Gutes und Kostbares zu bauen. Und vielleicht wollen Sie das auch gar nicht.

Und nun kommt unsere Geschichte mit den Emmaus-Jüngern daher mit einer ungeheuerlichen Behauptung: Die harte Wirklichkeit, in die diese beiden Leute am Karfreitag abgestürzt sind und in der sie noch immer unterwegs sind, ist gar nicht die Wirklichkeit!

Wie das? Fast hätte ich gesagt: „Weil der lebendige Christus ihren Weg kreuzt.“ Aber nein: Der lebendige Christus kreuzt nicht nur, ist nicht nur eine flüchtige Erscheinung. Er ist Begleiter, er geht mit! Und schon als unerkannter Begleiter hat er Wirkung: Herzen fangen an zu brennen.

Zwar: Alle früheren Illusionen bleiben falsch oder halb-wahr. Aber die lähmende Todes-„Wirklichkeit“, die sich Mehltau-artig über ihr Leben gelegt hat, sie ist mindestens ebenso falsch. Es gibt eine Wirklichkeit „hinter“ der Wirklichkeit: dass Jesus Christus vom Tod auferstanden ist. Das bedeutet nicht weniger als den Tod des Todes. Diese weltumstürzende Lebens-Wirklichkeit darf, nein, soll Ihr Leben prägen.

Sie soll. Sie tut es aber nicht unbedingt. In der Emmaus-Geschichte gibt es ja ein happy End: Die beiden erkennen den Auferstandenen! – Übrigens nicht bei der wortreichen Diskussion auf dem Weg oder bei einer zweiseitigen „Predigt“ jetzt, sondern bei der Tischgemeinschaft. Und von dem Moment an ist für beide alles anders.

Aber darauf möchte ich jetzt gar nicht eingehen. Sondern auf den überschatteten Weg davor: „Ihre Augen wurden gehalten“, sie erkennen Jesus nicht. „Das Herz brannte“, aber es macht nicht „klick“. Ich persönlich habe die Emmaus-Geschichte für mich entdeckt, als mir der Tod mein Denken und Empfinden verfinsterte.

„Ihre Augen wurden gehalten.“ – Es gibt Zeiten und Wegstrecken, in denen wir mit Blindheit geschlagen sind, in denen uns die Oster-Wirklichkeit hinter „unserer“ Wirklichkeit verstellt ist. In denen das Herz brennt, ohne dass wir einen Schlüssel des Verstehens dazu hätten. Dann ist es gut, aus dieser Geschichte zu lernen: Der Auferstandene selbst geht meinen Weg mit. Behutsam, einfühlsam, wider­spre­chend – und mit einem guten Ziel. Er geht mit. Auch wenn ich ihn nicht erkenne.

Gebet (von G.C. Dieffenbach, 1853):

Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Bleibe bei uns und bei deiner ganzen Kirche.

Bleibe bei uns am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt. Bleibe bei uns mit deiner Gnade und Güte, mit deinem heiligen Wort und Sakrament, mit deinem Trost und Segen.

Bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und Angst, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht des bitteren Todes. Bleibe bei uns und bei allen deinen Gläubigen, in Zeit und Ewigkeit. Amen.


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Gott kommt in die Hölle. Andacht zur Karwoche 2024

Andacht hören: https://c.gmx.net/@842115613865285676/ygoiAqkqSdOg95ucWP-ydQ

Um zwölf Uhr mittags verfinsterte sich der Himmel über dem ganzen Land. Das dauerte bis um drei Uhr. Gegen drei Uhr schrie Jesus: »Eli, eli, lema sabachtani?« – das heißt: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Einige von denen, die dabei standen und es hörten, sagten: »Der ruft nach Elija!« Einer lief schnell nach einem Schwamm, tauchte ihn in Essig, steckte ihn auf eine Stange und wollte Jesus trinken lassen. Aber die anderen riefen: »Lass das! Wir wollen sehen, ob Elija kommt und ihm hilft.«

Doch Jesus schrie noch einmal laut auf und starb. Da zerriss der Vorhang vor dem Allerheiligsten im Tempel von oben bis unten. (Matthäus 27, 45-51a)

Eine fürchterliche Szene: Ein Hügel, „Golgatha“, draußen vor der Stadt. Drei Menschen sterben. Einer im Mittel­punkt: Jesus. Kein „Einschlafen“ im Kreis der Lieben, keine schmerz­lindernden Medikamente, keine segnende Hand. Nackt und blutend, unsägliche Schmerzen. Und dann die gaffenden Blicke und die Kommentare der Schaulustigen. In dieser Kör­per­haltung kann Jesus kaum atmen, mehr stöhnen als sprechen. Es ist absehbar: Er wird ersticken.

„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen???“ Jesus schreit mit letzter Kraft diese Psalm-Worte, schreit sie Gott entgegen. Dem Gott, dessen Herrschaft Jesus den Menschen angesagt und gebracht hatte. Aber jetzt: Da ist keine rettende Hand, niemand nimmt ihn vom Kreuz, es gibt nicht einmal ein erlösendes Koma. Es ist die Hölle. Dann ein letzter Schrei in diese verdunkelte Nachmittagsstunde hinein. Jesus ist tot. Die beiden anderen rechts und links von ihm haben es noch nicht geschafft.

Szenenwechsel: Mitten in der Stadt der prachtvolle Tempel. Seit fast 50 Jahren eine Baustelle, aber doch schon längst in Betrieb. Das religiöse Zentrum. Hierher pilgern die Menschen, wollen Gott nahe sein. Gerade jetzt zum Passahfest: Hochbetrieb. Ein Kommen und Gehen. Lob und Dank, Klagen, Bitten, Opfern, Feiern. Und plötzlich: ein Riss. Der Vorhang zum „Allerheiligsten“ – von oben bis unten durchgerissen! Der Menge bleibt der Riss verborgen. In das heilige Innere des Tempels dürfen die Normalbürger ja gar nicht hinein. Und ins „Allerheiligste“ nur der Oberste Priester, und das nur einmal jährlich. Ausgerechnet dieser Vorhang zum Allerheiligsten, er reißt! Mittendurch!

Zwei Ereignisse: ein brutaler Justizmord und ein Riss in einem Vorhang. Wenige Kilometer dazwischen. Und doch zwei völlig verschiedene Welten: Die Welt „Golgatha“, das ist in diesen Stunden die Hölle auf Erden. Die Welt „Tempel“, die ist voller Heiligkeit, Weihrauch­duft, Gewänder, Kunst, Kult. Ein bisschen Himmel. Drei der vier Evangelisten erzählen uns von diesen beiden Ereignissen – in einer Stadt, in zwei Welten. Sie ziehen eine Verbindung zwischen diesen Welten, zwischen denen es keine Verbindung gibt.

Nochmal Szenenwechsel: Rückblende, weit über 1000 Jahre zurück. Gott hat die Israeliten aus der Sklaverei geführt. Sie ziehen nun durch die Wüste. Gott gibt ihnen den Auftrag, das „Zelt der Begegnung“ zu bauen, einen mobilen Tempel. Aus den Bauplänen ein Detail:

„Lass einen Vorhang aus gezwirntem Leinen machen, auf den mit blauer, roter und karmesinroter Wolle Bilder von Keruben gestickt sind. Er soll eine Scheidewand bilden zwischen dem Allerheiligsten und dem übrigen Heiligtum.“    (aus Exodus 26; Betonungen: D.K.)

Der Vorhang als „Scheidewand“. Er trennt: Auf der einen Seite der Bereich, wo die Priester ein- und ausgehen. Hinter dem Vorhang: Das „Allerheiligste“. Dort sind die Zeichen göttlicher Gegenwart. Dieser Teil ist tabu. Gottes Heiligkeit ist geschützt. Vielleicht auch als Schutz für die Menschen: So unmittelbar und eindringlich kann die Nähe des heiligen Gottes sein, dass sie den unheiligen Menschen überfordert, dass man schier vergehen müsste. Da braucht man Schutz – wie beim Obersten Priester, der einmal jährlich am Versöhnungstag hineingeht. Ihn schützen sein Amt, seine Rituale, sein Verstand und seine Lehrmeinung.

Und nun: Der Vorhang ist zerrissen! „Nur“ ein Vorhang. Aber seine symbolische Kraft ist stärker als die Tür eines Panzerschrankes. Er zerreißt ausdrücklich „von oben nach unten“: Es geht von Gott aus. Der Weg ist nun frei: Der Weg Gottes zu seinen Menschen, der Weg der Menschenkinder zu Gott. Niemand muss an seiner Gottesferne zugrunde gehen, und niemand soll in seiner Unheiligkeit in der Nähe Gottes vergehen.

Was immer an jenem Karfreitag im Tempel in Jerusalem passiert sein mag: Eigentlich ist dieser Tempelvorhang, diese „Scheidewand“, auf dem Hinrichtungshügel zerrissen. Dort hat der Ewige Geschichte gemacht, seine Geschichte. Der Vorhang ist zerrissen, die unüberbrückbare Kluft von Gott und Welt, von Himmel und Hölle ist überbrückt. Keine Hinrichtung wie jede andere. Gott selbst kommt in die Hölle.

Seitdem darf es keinen „heiligen Ort“ auf der Welt und in unserem Leben mehr geben, der fein säuberlich abgetrennt ist von den Höllen in derselben Welt. Wer Gott ausschließlich an heiligen Orten, in heiligen Handlungen, heiligen Schriften und in heiliger Atmosphäre sucht, wird allenfalls ein Zerrbild finden. Sondern: Er oder sie muss durch den zerrissenen Vorhang hindurch auf Golgatha blicken, Gott finden unter Einschluss von Golgatha.

Und: Es gibt keine Hölle mehr, in der nicht Gott wäre. Kein noch so unheiliger Ort ist heillos. Wohl dem, der durch den Vorhang der eigenen Verzweiflung hindurch ebenfalls auf Golgatha blickt. Da ist Gott, nicht bloß auf dem Thron im Allerheiligsten.

Der Riss im Vorhang, er blieb der Menge verborgen, und er tut es bis heute. Der Vorhang wird wohl auch schnell geflickt worden sein. Oder hurtig ersetzt durch strapazier­fähigeres Material. So sind die Menschen. Nur: Der Vorhang, den Gott durch den Tod Jesu zerrissen hat, ist nicht zu flicken, ist nicht zu ersetzen. Auch wenn wir es nicht mitbekommen oder nicht wahrhaben wollen. Er ist und bleibt zerrissen.

Ich meine: Es ist gut, wenn wir uns auf diese neue Wirklichkeit einstellen – und Vorhänge wegreißen:

  • weg mit dem Vorhang vor der Hölle anderer Menschen und der Kreatur! Wir dürfen nicht mehr „Insel der Glückseligen“ spielen. Gott bliebe uns sonst verborgen.
  • Wenn Sie selbst gerade „die Hölle“ (oder auch nur ein Zipfelchen davon) durchleben: weg mit dem Vorhang! Gott ist da! Keine Hölle und kein Tod mehr ohne ihn! Warum mir die Hände vor’s Gesicht halten, wenn der Gekreuzigte mich ansieht?

Der Vorhang ist zerrissen. Also lasst uns so leben und so sterben und so auferstehen!

Das gilt übrigens nicht nur „bildlich“, sondern auch ganz wörtlich: Wenn Sie zur Zeit auch bei Tageslicht die Vorhänge zu und die Rollläden geschlossen halten, weil Sie kein Tageslicht wollen, nichts sehen und nicht gesehen werden wollen: Ziehen Sie den Rollladen hoch, schieben Sie den Vorhang zur Seite! Gehen Sie durch die Haustür! Denn: Der Vorhang ist zerrissen!

Gebet (von Dietrich Bonhoeffer):

Herr Jesus Christus, du warst arm und elend, gefangen und verlassen wie ich. Du kennst alle Not der Menschen, du bleibst bei mir, wenn kein Mensch mir beisteht, du vergisst mich nicht und suchst mich. Amen.

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Das Lied der Überwinder. Andacht zum 15.3.2024

Andacht hören: https://c.gmx.net/@842115613865285676/vMyS3RY1TKOeb6zKAuDYvA

Lied hören: https://www.youtube.com/watch?v=cTBHOqxwMdw

Die Welt ist ins Wanken geraten. Das Gefühl von Sicherheit – futsch. Man will die neuesten Nachrichten gar nicht mehr hören. Untergangsstimmung.

Wir befinden uns um das Jahr 90 herum in „Kleinasien“, in der heutigen Türkei. Hier ist das Zentrum des Kaiserkults. Der aktuelle gottgleiche römische Kaiser heißt Domitian. Wer bei dem Kaiserkult nicht mitmacht, gilt als unzuverlässiger Untertan und lebt gefährlich. Die Christen aber kennen nur einen Gott. Vor einem gottgleichen Menschen gehen sie nicht auf die Knie. Christen leben gefährlich. – Oder lieber doch einfach kurz mitmachen beim Kaiserkult? Mal Fünfe gerade sein lassen? Wenn man sich doch so viel ersparen kann dadurch?

Der Seher Johannes, der Autor der „Offenbarung“, plädiert ganz klar dafür, in diesem Punkt standhaft zu bleiben. Ohne die Folgen schön zu reden. So wechseln in der Offenbarung unterschiedlichste Unheils-Bilder einander ab. Der Kaiser und seine Unterstützer werden dabei als diabolische Bestien beschrieben. Vor ihnen werfen sich die Menschen nieder. Schließlich kommt es dazu, …

… dass sie allesamt, die Kleinen und Großen, die Reichen und Armen, die Freien und Sklaven, sich ein Zeichen machen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn und dass niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Zeichen hat, nämlich den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens … (aus Offenbarung 13)

So geht es zu auf der Erde. Doch immer wieder wechselt die Szene in den Himmel. So sind wir zwei Kapitel weiter in einer völlig anderen Welt, im himmlischen Thronsaal:

Ich sah ein … Zeichen im Himmel, das war groß und wunderbar: Sieben Engel, die hatten die letzten sieben Plagen. Denn mit ihnen ist vollendet der Zorn Gottes.

Und ich sah, wie sich ein gläsernes Meer mit Feuer vermengte, und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes:

„Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine Urteile sind offenbar geworden.“ (Offenbarung 15, 1-4)

Was bitteschön soll daran „groß und wunderbar“ sein, wenn sieben Engel mit sieben Plagen im Gepäck auftreten? Antwort: Es sind die letzten sieben Plagen! Und: Mit ihnen ist vollendet der Zorn Gottes! Also: Leid und Unheil sind befristet! Sie haben nicht das letzte Wort!

Und dann: Göttliche Harfen und himmlischer Gesang an einem feurig leuchtenden Kristall-Meer! Aber nicht Engel sind es hier, die auf Wolke Sieben Harfe spielen. Sondern wer? Die, „die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens“. Den Sieg behalten, das ist: Gott die Treue halten. Und nicht mit­machen bei dem, was sonst alle machen.

Und was singen diese Überwinder? „Das Lied des Mose … und das Lied des Lammes“. Moses Gesang – nach der Rettung der Israeliten am Schilfmeer vor dem übermächtigen ägyptischen Militär: „HERR, wer ist dir gleich unter den Göttern? Wer ist dir gleich, der so herrlich und heilig ist, schrecklich, löblich und wundertätig?“ (Exodus 15,11)

Und das „Lamm“, das ist Christus.

Was für eine verrückte Szene! Die sieben Plagen stehen noch bevor, und doch wird Gott schon jetzt gejubelt und gepriesen! Die Menschen treiben auf der Erde ihr gottloses Unwesen, und doch wird im Himmel schon besungen, wie die Völker zu Gott strömen und ihn anbeten! Da werden aktuell Menschen ausgegrenzt, schikaniert, teilweise umgebracht – und genau die sind die Sieger über die diabolischen Über-Mächte! In der Erden-Szene: die Verlierer. In der Szene des himmlischen Thronsaals: die Sieger!

Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine Urteile sind offenbar geworden.

So, und nun nicht das Jahr 90, sondern 2024. Trotz erwachter Zivil­gesellschaft und trotz so vieler verantwortungsvoller und engagierter Menschen ist die Welt in mancher Hinsicht sehr ins Wanken geraten. Das Gefühl von Sicherheit ist ge­schwunden. Man will die neuesten Nachrichten gar nicht mehr hören. Untergangs­stimmung.

Ich betrachte unsere Thronsaal-Szene als Aufforderung, wach dafür zu sein und immer neu zu werden, wo ich auf der richtigen Seite stehe – und wo nicht. Wach dafür zu sein, dass die Verlierer manchmal die Sieger sind. Und vor allem: Trotz und alledem und schon jetzt das Lied der Überwinder mitzusingen:

Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine Urteile sind offenbar geworden.

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Vom Türpfosten auf die Pelle. Andacht zum 8.3.2024

Andacht hören: https://c.gmx.net/@842115613865285676/DQa5biwxRnWg2jnPnprVNg

Da gab es die Waschmittel-Werbung aus meiner Kindheit. Alles wird alles strahlend weiß oder bleibt richtig schön bunt. Weiß wird die Wäsche auch in unserem Bibeltext, aber das Waschmittel ist erstaunlich anders …

Die Szene: Der Seher Johannes findet sich entrückt in den himmlischen Thronsaal. Unzählige Leute „aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen“ sind versammelt, „angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen. Die riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei unserm Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm!“ Jemand erklärt Johannes, um wen es sich da handelt:

Diese sind’s, die aus der großen Trübsal kommen und haben ihre Kleider gewaschen und haben sie hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel. Und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten. Es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze. Denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. (alles aus Offenbarung 7, 9-17)

Aha: Leute, die ihre Wäsche gewaschen haben und nun ganz helle Sachen tragen. Aber nicht mithilfe von Clementine aus der Werbung, sondern: Gewaschen „im Blut des Lammes“. Mit dem „Lamm“ ist Christus gemeint, das Blut ist eine Anspielung auf seine blutige Hinrichtung. Die Vorstellung ist schon skurril. – Haben Sie schon erlebt, wie schwer das ist, Blutflecken aus dem T-Shirt heraus zu bekommen? Außerdem ist Blut hochgradig infektiös, da lassen Sie besser die Finger von. Aber hier waschen die Leute ihre Sachen in Blut – und die werden strahlend hell!

Lämmer kommen schon im Alten Testament vor. Und zwar meist als Opfertiere. Ich würde das Lamm lieber auf der Wiese sehen als zu angeblich höheren Zwecken geschlachtet. Sie womöglich auch. Und vielleicht finden Sie da die Bibel ziemlich archaisch und antiquiert. Ist sie aber nicht! Wenn Sie mal „Lamm“ in Ihrer Suchmaschine eingeben, werden Sie vor allem Lammfleisch & Rezepte finden. Pustekuchen mit der grünen Wiese heutzutage.

Das „Blut des Lammes“ finden Sie in der Bibel ausgerechnet beim Fest der Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei, dem Passafest. Von der Nacht des Aufbruchs aus Ägypten heißt es: Die Israeliten „sollen vom Blut des Lammes nehmen und beide Pfosten an der Tür und den Türsturz damit bestreichen an den Häusern, in denen sie’s essen, und sollen das Fleisch essen in derselben Nacht, am Feuer gebraten, und ungesäuertes Brot dazu und sollen es mit bitteren Kräutern essen“ (Exodus 12, 7-8).

Das Blut als Zeichen des Lebens. Denn: In dieser Nacht geht der Todesengel um in Ägypten. Aber an den mit Blut bestrichenen Türen geht er vorüber.

Später spricht der „Zweite Jesaja“ (ca. 540 vor Christus) von einem kommenden „Knecht Gottes“. Von diesem Gottesknecht sagt er:

Als er gemartert wurde, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. (…)

Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. (Jesaja 53, 7.11)

Kein Wunder, dass später die Christen Jesus Christus in diesem Lamm erkannt haben. Oder mit den Worten des Täufers – nach dem Johannes-Evangelium: „Johannes sieht, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ (Johannes 1, 29)

Diese Anspielung auf das Passa-Lamm finden wir bei Jesu Hinrichtung wieder: Im Johannes-Evangelium stirbt Jesus am „Rüsttag“, also am Tag, wo die Passalämmer geschlachtet werden. Und als Jesus tot ist, brechen die Soldaten ihm keinen Knochen – wie es für das Passa-Lamm geboten ist.

Und so kommt es dann, dass später in der Offenbarung Christus mehr als ein Dutzend mal als „Lamm“ bezeichnet wird. Wohlgemerkt: Christus ist das Passa-Lamm. Sein Blut ist hier nicht so etwas wie „Bezahlung“ für Sünden, sondern es ist wie das Blut an den Türpfosten der Israeliten Zeichen des Lebens, des Verschont-Werdens, des Aufbruchs in die Freiheit, Aufbruch ins Land der Verheißung.

Übrigens: Wenn Jesus beim Abendmahl zu seinen Jüngern sagt: „Trinkt – das ist mein Blut!“, dann sagt er das ebenfalls ohne jeden Bezug zum Thema „Sünden“, jedenfalls nach den ältesten Überlieferungen (1. Korinther 11; Markus 14).

Und nun nochmal die Offenbarung:

Diese sind’s, die aus der großen Trübsal kommen und haben ihre Kleider gewaschen und haben sie hell gemacht im Blut des Lammes. (…)

Das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

Sie sind aus „großer Trübsal“ gekommen, die Menschen, die ihre Kleider im Blut des Lammes gewaschen haben, nicht aus großen Sünden. „Trübsal“, da wird der Seher wohl an die Verfolgungen gegen die Christen denken. Die Perspektive ist: Trübsal wird verwandelt in Freude! – Das Lamm leitet sie zu den Quellen lebendigen Wassers, Gott wird alle geweinten Tränen abwischen!

Das Blut, früher Zeichen des Lebens auf den Türpfosten der Noch-Sklaven, es rückt jetzt von den Pfosten viel unmittelbarer den verfolgten Christen auf die eigene Haut. Zeichen des Lebens. Zeichen der Hoffnung für die, die bisher nicht viel zu lachen hatten.

Meine Kleider im Blut des Lammes waschen: Ich betrachte das als Einladung, mir den Tod und die Auferweckung des Jesus von Nazareth auf die Pelle rücken zu lassen. Mich mit meinem ganzen Leben, speziell mit meiner Trübsal und vor allem mit meinem Tod bei ihm wiederzufinden!

Der Liederdichter Paul Gerhardt aus dem 17. Jahrhundert beschreibt sich da als ein Körperteil, das an „seinem Haupt“ Jesus Christus dranhängt, eine Schicksalsgemeinschaft mit ihm hat:

Ich hang und bleib auch hangen / an Christus als ein Glied. Wo mein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit. Er reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not, er reißet durch die Höll. Ich bin stets sein Gesell.

Er dringt zum Saal der Ehren, ich folg‘ ihm immer nach / und darf mich gar nicht kehren / an einzig Ungemach. Es tobe, was da kann, mein Haupt nimmt sich mein an. Mein Heiland ist mein Schild, der alles Toben stillt!

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Die Übermacht der Bilder. Andacht zum 1.3.2024

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Früher habe ich das in meiner Klinik öfter erlebt: Station X schreibt mir eine Mail: Frau Schulze möchte sich eine Bibel borgen. Ich gehe hin und frage Frau Schulze: „Was in der Bibel möchten Sie denn gern lesen?“ Darauf die sehr bestimmte die Antwort: „Die Offenbarung!“

Meine Meinung: Wer die Bibel noch nicht gut kennt und sich obendrein aktuell in einem seelischen Ausnahmezustand befindet, ist mit der Offenbarung, ihren schwer verständlichen und teils erschreckenden Visionen nicht unbedingt gut beraten. Ich habe deshalb öfters empfohlen, lieber mit einem Evangelium einzusteigen, wo ja die Jesus-Geschichten drinstehen.

Und jetzt in dieser Andacht: Etwas aus dem ersten Kapitel der Offenbarung. Der Autor heißt Johannes. Er ist auf der Insel Patmos in der Ägäis. Die Empfängerinnen: Sieben christliche Gemeinden in „Kleinasien“, der heutigen Türkei.

Am Tag des Herrn wurde ich vom Geist ergriffen und hörte hinter mir eine Stimme, laut wie eine Posaune. Sie sprach: Schreib das, was du siehst, in ein Buch und schick es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea!

Da wandte ich mich um, weil ich die Stimme erblicken wollte, die zu mir sprach. Als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter, und mitten unter den Leuchtern einen gleich einem Menschensohn. Er war bekleidet mit einem Gewand bis auf die Füße, und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold. Sein Haupt und seine Haare waren weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie Feuer­flammen. Seine Beine glänzten wie Gold-Erz, das im Schmelzofen glüht, und seine Stimme war wie das Rauschen von Wassermassen. In seiner Rechten hielt er sieben Sterne und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert und sein Gesicht leuchtete wie die machtvoll strahlende Sonne.

Eine Christus-Erscheinung! Und was für eine!

Wenn Sie so was erleben, würde Sie das erschrecken? Oder sehnen Sie sich eher nach so einem Erlebnis? Wenn Ihnen das wie Johannes an einem Sonntagmorgen aus heiterem Himmel passiert, es würde Ihren Glauben ziemlich intensivieren und leichter machen, oder? Wer so etwas erlebt, braucht keine Glaubens-Begründungen mehr.

Aber Vorsicht! Die Erfüllung der eigenen Wünsche kann leicht nach hinten losgehen. Ich selbst hatte noch nie eine Christus-Erscheinung. Aber ich würde ungern tauschen mit manchen Menschen, die solche intensiven besonderen Erfahrungen gemacht. Weil einen das nachhaltig verstören kann. Und weil es einem dann vielleicht nicht gelingt, wieder in die „normale“ Welt zurückzufinden.

Im Alten Testament gibt es öfters die Überzeugung: Wer (jetzt nicht Christus, sondern) Gott sieht, kann das nicht überleben! Und tatsächlich: So ungefähr erlebt es Johannes hier mit dieser Erscheinung:

Als ich ihn sah, fiel ich wie tot vor seinen Füßen nieder.

Diese außergewöhnliche Erfahrung haut Johannes um. „Wie tot“. – Oder ist es umgekehrt? Hat Johannes eine Nahtod-Erfahrung? Also erst quasi tot, und dann diese Eindrücke, für die es gar keine angemessenen Worte gibt? So wie andere in neuerer Zeit, bei denen Herz und Hirn nichts Messbares mehr tun, und die später, wenn sie wieder zurück sind, Unbeschreibliches beschreiben, das sie auf Dauer total verändern wird?

Jedenfalls: Wäre Johannes „wie tot“ liegengeblieben, und anschließend „ganz tot“, wir würden uns heute nicht über seine Offenbarung Gedanken machen.

Es endet aber nicht mit seinem Tod, es geht weiter:

Er aber legte seine rechte Hand auf mich und sagte: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch siehe, ich lebe in alle Ewigkeit und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt. (Alles: Offenbarung 1, 10-18)

Die rechte Hand, die Johannes berührt. Und dieses „Fürchte dich nicht!“

Was Johannes hier zunächst so umgehauen hat, war, was er sah. Sehen, das geht auf Abstand. Mindestens ein paar Zentimeter Abstand, sonst erkennen Sie nichts.

Und höchstens? Wir können immer noch Sterne sehen, die in Echt seit vielen Jahren erloschen sind. Das Licht schafft 300.000 km in der Sekunde. Wenn die Lichtquelle nur stark genug ist, kann der Abstand auch riesig sein.

„Er aber legte seine rechte Hand auf mich“. Eine Berührung. Das geht nur ohne Abstand. Unmittelbar. Der, der vorher glänzt und scheint in seiner Erhabenheit, der ist nun ganz, ganz nahegekommen. Das hat was Zärtliches.

Und dann: Worte. „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch siehe, ich lebe in alle Ewigkeit und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt.“

In Berührung mit diesem Christus zu sein, das sollte wirklich den Zustand „wie tot zu seinen Füßen“ beenden. Denn Christus selbst ist ja der Lebendige. Der Auferstandene. Der, der Tod und Unterwelt abschließt, sie dichtmacht.

Heutzutage: Auf dem Dauerbegleiter Smartphone gibt es eine Flut von Bildern. Der längere Text, das Buch, das gute Argument sind auf dem Rückzug. Auch kann das Smartphone einen nicht berühren, vom Vibrationsalarm mal abgesehen.

Eine Berührung aber kann aufrichten. Klare Worte können Angst nehmen oder die Angst wenigstens begrenzen. Wie sagt der Prophet Jesaja?

Hin zur Weisung und hin zur Offenbarung! Werden sie das nicht sagen, so (…) werden sie über sich blicken und unter sich die Erde ansehen und nichts finden als Trübsal und Finsternis. Denn sie sind im Dunkel der Angst und gehen irre im Finstern. (Jesaja 8, 20 ff.)

Wenn Sie diese Andacht bis hier geschafft haben: Herzlichen Glückwunsch! Sie haben sich mit Worten auseinandergesetzt ohne ein einziges Bild dazu. Das ist unmodern, aus der Zeit gefallen. Aber es ist wahrscheinlich gut für die Seele: Nicht im Dunkel der Angst umherzuirren, sondern auf den zu hören, der die Schlüssel zu Tod und Unterwelt hat. Und der sagt: „Fürchte Dich nicht!“

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