Aus der Haut fahren. Andacht zum 26.4.2024

Andacht hören:

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Es hat schlimme Nachrichten gegeben für Frau Meier. Diese Nachrichten haben viel in Bewegung gebracht. Manche Veränderungen. Eine Veränderung: „Ich rege mich nicht mehr so schnell auf. Ich fahre nicht mehr so schnell aus der Haut!“

Für Frau Meier ist das eine positive Veränderung. Angestoßen durch eine von diesen schlimmen Nachricht. Wieso? Weil schlimme Dinge einem neu klarmachen können, was wirk­lich wichtig ist im Leben – und was nicht. Das Schlimme kann einem zeigen, dass manch ein Aufreger vorher im Vergleich eben nur Kleinkram ist.

Ich bleibe bei dieser Formulierung hängen – „aus der Haut fahren“. Frau Meier und ich philo­sophieren darüber ein bisschen. Stellen Sie sich das mal bildlich vor: Sie fahren aus der Haut, und nun liegt sie da hinten, Ihre Haut. Sie sind jetzt nicht mehr bei sich, Sie sind „außer sich“.

Und jetzt haben Sie ein dreifaches Problem …

  1. Bis eben noch war die Haut die klare Grenze von Innen und Außen, von „das bin ich“ und „das bin nicht mehr ich“. Aber wenn Sie aus der Haut gefahren sind, dann wird das unklar.
  2. Ohne Haut kann Ihnen etwas allzu nahegehen. Es kann Sie verletzen, was ei­gentlich doch gar nicht zu Ihnen gehört, was Sie eigentlich nicht so berühren müsste. Denn: Die Haut als Grenze ist ein Schutz. Wenn Sie sich verletzen, mag das schlimm sein. Aber ohne Haut wäre es schlimmer. Wenn Sie aus der Haut gefahren sind oder sehr dünnhäutig, dann fehlt dieser Schutz.
  3. Die Haut ist normalerweise die Kontaktfläche zu Ihrer Außenwelt. Wenn Sie außer sich sind, sind Sie kaum mehr berührbar, kaum etwas kann Ihnen noch Halt ge­ben, Sie stützen, Sie wärmen.

Herzlichen Glückwunsch dazu, Frau Meier, dass Sie nicht mehr so schnell aus der Haut fahren! Dass Sie mehr bei sich sind! Dass Sie klarer unterscheiden können, was „Ich“ ist und was „Nicht-Ich“ ist, was innen und was außen ist. Dass Sie berührbarer geworden sind!

Und was wünsche ich Herrn Klute? Ich wünsche mir, dass ich überhaupt sensibler dafür werde, wo ich gerade jetzt bin: Bin ich in mir oder wenigstens bei mir? Oder bin ich „außer mir“, habe mich in den Dingen oder in den anderen Menschen verloren – und bin dann eben auch verletzlicher? Schutzlos?

Ich wünsche mir weiter, dass ich immer wieder zu mir zurückfinde. Zum Beispiel, indem ich eine Aus-der-Haut-fahr-Situation verlasse. Auf meinen Atem achte. Zu Gott sage: „Gott, hier bin ich!“

Ich wünsche mir die Wahl zwischen dünner Haut und dickem Fell, und dass meine Wahl meistens gut ausfällt, dass es „passt“.

Als die Israeliten auf dem Weg von der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit das Schilfmeer durchzogen haben, lagern sie wenig später am Gottesberg Sinai. Mose steigt allein auf den Berg und hat dort eine Gottesbegegnung.

Als Mose (…) den Berg Sinai hinabstieg, wusste er nicht, dass sein Gesicht einen strahlenden Glanz bekommen hatte, während der HERR mit ihm sprach. Aaron und das ganze Volk sahen das Leuchten auf Moses Gesicht und fürchteten sich, ihm nahe zu kommen. (Exodus 34, 29-30)

Aha! In der Begegnung mit Gott hat sich die Haut geändert! Jetzt denken Sie viel­leicht: „Na klasse! Toller Trick, um mehr Ausstrahlung zu bekommen, um auch von meinen Mitmenschen als große Leuchte erkannt zu werden!“

Aber dann überlesen Sie bitte nicht: Dieses leuchtende Angesicht hält die anderen auf Abstand, denn sie fürchten sich. Wenn Sie weiterlesen, erfahren Sie zudem, dass Mose immer wieder sein Gesicht bedeckt aus Rücksicht auf die anderen.

Für unseren Zusammenhang will ich diese Episode nicht so verstanden wissen, dass die Gottesbegegnung einen verlässlich zum Strahlemann oder zur Strahlefrau macht – Strahleleute sind mir ohnehin suspekt. Aber so will ich die Episode verstehen, dass die Begegnung mit Gott meine Haut stärkt. – Als die Grenze zwischen Innen und Außen, als das Organ meiner Berührbarkeit, als mein Schutz. Und dass die Haut in diesem Sinne von mir selbst besser wahrgenommen wird.

Kein Mensch, auch kein Mose, kann eine Begegnung mit Gott „machen“. Aber Mose kann etwas beitragen: Er fährt nicht aus der Haut, sondern er „fährt“ aus der Menge heraus. Er zieht sich zurück an einen einsamen, aber nicht „gottverlassenen“ Ort. Er sucht die Zwiesprache mit Gott. Und er findet sie. Darin kommt er zu sich und zu Gott – beides ist wohl kaum zu trennen. Eine Erfahrung, die unter die Haut geht und seine Haut verändert.

Also: Suchen Sie doch immer neu die Zwiesprache mit Gott! Sie kommen dabei vermutlich Gott näher – und sich selbst!

Und wenn Sie das nächste Mal aus der Haut fahren, vergessen Sie nicht, beizeiten wieder zurück­zukommen!

Gott, lass doch nicht zu, dass ich mich im Außen verliere! Hilf, dass ich zurück finde zu mir selbst und zu Dir! Amen.

Über Dirk Klute

Dirk Klute, Jahrgang 1965. Ich bin promovierter Theologe und Dipl.-Psych., arbeite als Pfarrer in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie und in einer Maßregelvollzugsklinik. Ich lebe in Münster (Westfalen). Ich fahre viel Fahrrad und mache gern Musik.
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