Der verborgene Christus. Andacht zum 19.4.2024

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Sind Sie Christin, sind Sie Christ? Falls ja: Was macht Sie dazu? Da gibt es ganz unterschiedliche Antworten, die alle nicht ganz falsch sind und nicht ganz richtig. Vielleicht steht’s in Ihrer Steuerkarte. Oder: Sie sind getauft. Vielleicht haben Sie bestimmte christliche Glaubensüberzeugungen. Vielleicht einen christlichen Lebens­wandel. Vielleicht bestimmte Frömmigkeitsformen.

Hier eine weitere Antwort, die ich, mit Verlaub, überzeugender finde als die Steuerkarte, und die hat etwas mit dem Wort „Christ“ zu tun. Da steckt nämlich „Christus“ drin. Vorschlag: Christinnen und Christen, das sind diejenigen, die sich in Verbindung zu Jesus Christus sehen und erleben.

Da schließt sich dann gleich die Frage an: Wie und wo habe ich denn Verbindung mit Jesus Christus? Wo begegnet Christus mir? Da fällt mir zuerst ein: Im Gebet. In Beschäftigung mit den Geschichten um ihn herum. Und es gibt ein paar weitere und schon sehr alte Antworten:

  • Im „Wort“. Eine Predigt, die mich anspricht, ein Gespräch, das mich berührt, ein Bibelwort, das „trifft“.
  • Im Abendmahl: „Dies ist mein Leib, der für Euch gegeben wird … Dies ist mein Blut, das für Euch vergossen wird“.
  • In der Taufe. Dazu Paulus: „in seinen (nämlich Christi) Tod getauft“.
  • In christlicher Gemeinschaft. Wieder Paulus: „Ihr seid der Leib Christi!“
  • Im Geist. Nämlich in dem Geist Christi, von dem ich mich vielleicht erfüllt, bewegt, gestärkt fühle.

Eine weitere, sehr spezielle Antwort finden wir in Matthäus 25, in der Szene vom großen Gericht am Ende der Zeiten:

Alle Völker der Erde werden vor ihm versammelt werden, und er wird die Menschen in zwei Gruppen teilen, so wie ein Hirt die Schafe von den Böcken trennt. Die Schafe wird er auf seine rechte Seite stellen und die Böcke auf seine linke Seite.

Dann wird der König zu denen auf seiner rechten Seite sagen: ›Kommt her! Euch hat mein Vater gesegnet. Nehmt Gottes neue Welt in Besitz, die er euch von allem Anfang an zugedacht hat. Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich bei euch aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir etwas anzuziehen gegeben; ich war krank und ihr habt mich versorgt; ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht.‹

Dann werden die, die den Willen Gottes getan haben, fragen: ›Herr, wann sahen wir dich jemals hungrig und gaben dir zu essen? Oder durstig und gaben dir zu trinken? Wann kamst du als Fremder zu uns und wir nahmen dich auf, oder nackt und wir gaben dir etwas anzuziehen? Wann warst du krank oder im Gefängnis und wir besuchten dich?‹ Dann wird der König antworten: ›Ich versichere euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan.‹

Wie begegnet Christus mir? Antwort hier: In den Hungrigen, in den Durstigen, in den Fremden, den Nackten, den Kranken, den Gefangenen. Christus begegnet mir in Menschen, die bedürftig sind. Was übrigens nicht heißt, dass diese Menschen immer besonders sympathisch oder dankbar sind.

Die Pointe: Die „Schafe“, die gut zu diesen sonst so unbeachteten Be­dürf­tigen waren, haben es überhaupt nicht geschnallt, mit wem sie es denn da eigentlich zu tun hatten. Und später die „Böcke“, die sich nicht gekümmert haben, die haben es auch nicht geschnallt. Das lässt befürchten: Auch nach dieser Andacht werden Sie wahrscheinlich weiterhin nicht Christus erkennen in einem bedürftigen Mit­menschen. Sie werden einfach so für ihn da sein. Oder eben nicht.

Nun ist diese Gerichts-Szene ja ziemlich zugespitzt. Es gibt nur die Schafe und die Böcke. Das ist schwarz-weiß. Meine Wahrheit liegt im Grau-Bereich: Manchmal tue ich Bedürftigen Gutes. Manchmal kann ich nicht. Oder ich will nicht. Oder es sind zu viele, ich kann nicht die ganze Welt retten. Manchmal sehe ich die Not gar nicht, manchmal will ich sie nicht sehen. Manchmal gibt es gute Gründe, eine Hilfe nicht zu leisten, das Helfen anderen zu überlassen oder der Selbstverantwortung des Betroffenen. Also: Manches an mir ist gut und darf bleiben, und anderes an mir – na, da ist es dann gut, wenn es nicht für die Ewigkeit ist.

Die Szene ist auch an einer anderen Stelle sehr zugespitzt: Hier die Schafe und Böcke als die potentiellen Helfer – und dort die Bedürftigen, die „geringsten Brüder und Schwestern“. In echt sieht es wohl anders aus: Es gibt wahrscheinlich keinen Menschen, der immer nur zu geben hat, aber nie bedürftig ist. Es gibt wohl auch keinen Menschen, der immer nur bedürftig ist und so gar nichts zu geben hat.

Das heißt: Wenn Sie bei dieser Szene nur die Frage haben: „Bin ich mehr Schaf oder mehr Bock?“, dann greift das zu kurz. Sondern: „Wo bin ich hungrig, durstig, fremd, ohne den Schutz der Kleidung, wo bin ich krank, was hält mich gefangen?“ Ich will damit keineswegs die Unterschiede einebnen. Die Nöte des Königs im Schloss sind nicht dieselben wie die der Regimekritikerin im iranischen Gefängnis. Trotzdem finde ich es wichtig, dass Sie und ich als relative Normalbürger beide Seiten bei uns im Blick haben.

Bei mir als potentiellem Helfer begegnet mir Christus im Bedürftigen. Und: Durch mich als Bedürftigem begegnet Christus meinen Mitmenschen! Aber: Das kann Christus nur, wenn ich mich in meiner Bedürftigkeit nicht einschließe, sondern mich einzelnen Mitmenschen zumute!

Wie gesagt: In der Szene wissen die Schafe wie die Böcke nicht, dass ihnen in den Bedürftigen Christus begegnet ist. Und die Bedürftigen selbst wussten wohl auch nicht, dass sie den anderen zum unerkannten Christus wurden. Und wahrscheinlich werden Sie und ich das auch nicht schnallen.

Aber vielleicht ja manchmal doch: Dass mein Gefühl zu den anderen und zu mir selbst, dass mein Umgang mit den anderen und mit mir selbst eine Christus-Dimension hat. Auch wenn das vielleicht nicht so augenfällig ist wie Glaubensge­spräch, Taufe, Abendmahl, christliche Gemeinschaft. Und die Steuerkarte.

Christus, lass nicht zu, dass mein Glaubensleben und mein sonstiges Leben mehr oder weniger unverbunden nebeneinanderstehen. Durchdring Du alle Welten, in denen ich mich im Lauf der Woche aufhalte und bewege! Amen.

Über Dirk Klute

Dirk Klute, Jahrgang 1965. Ich bin promovierter Theologe und Dipl.-Psych., arbeite als Pfarrer in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie und in einer Maßregelvollzugsklinik. Ich lebe in Münster (Westfalen). Ich fahre viel Fahrrad und mache gern Musik.
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