Die Übermacht der Bilder. Andacht zum 1.3.2024

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Früher habe ich das in meiner Klinik öfter erlebt: Station X schreibt mir eine Mail: Frau Schulze möchte sich eine Bibel borgen. Ich gehe hin und frage Frau Schulze: „Was in der Bibel möchten Sie denn gern lesen?“ Darauf die sehr bestimmte die Antwort: „Die Offenbarung!“

Meine Meinung: Wer die Bibel noch nicht gut kennt und sich obendrein aktuell in einem seelischen Ausnahmezustand befindet, ist mit der Offenbarung, ihren schwer verständlichen und teils erschreckenden Visionen nicht unbedingt gut beraten. Ich habe deshalb öfters empfohlen, lieber mit einem Evangelium einzusteigen, wo ja die Jesus-Geschichten drinstehen.

Und jetzt in dieser Andacht: Etwas aus dem ersten Kapitel der Offenbarung. Der Autor heißt Johannes. Er ist auf der Insel Patmos in der Ägäis. Die Empfängerinnen: Sieben christliche Gemeinden in „Kleinasien“, der heutigen Türkei.

Am Tag des Herrn wurde ich vom Geist ergriffen und hörte hinter mir eine Stimme, laut wie eine Posaune. Sie sprach: Schreib das, was du siehst, in ein Buch und schick es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea!

Da wandte ich mich um, weil ich die Stimme erblicken wollte, die zu mir sprach. Als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter, und mitten unter den Leuchtern einen gleich einem Menschensohn. Er war bekleidet mit einem Gewand bis auf die Füße, und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold. Sein Haupt und seine Haare waren weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie Feuer­flammen. Seine Beine glänzten wie Gold-Erz, das im Schmelzofen glüht, und seine Stimme war wie das Rauschen von Wassermassen. In seiner Rechten hielt er sieben Sterne und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert und sein Gesicht leuchtete wie die machtvoll strahlende Sonne.

Eine Christus-Erscheinung! Und was für eine!

Wenn Sie so was erleben, würde Sie das erschrecken? Oder sehnen Sie sich eher nach so einem Erlebnis? Wenn Ihnen das wie Johannes an einem Sonntagmorgen aus heiterem Himmel passiert, es würde Ihren Glauben ziemlich intensivieren und leichter machen, oder? Wer so etwas erlebt, braucht keine Glaubens-Begründungen mehr.

Aber Vorsicht! Die Erfüllung der eigenen Wünsche kann leicht nach hinten losgehen. Ich selbst hatte noch nie eine Christus-Erscheinung. Aber ich würde ungern tauschen mit manchen Menschen, die solche intensiven besonderen Erfahrungen gemacht. Weil einen das nachhaltig verstören kann. Und weil es einem dann vielleicht nicht gelingt, wieder in die „normale“ Welt zurückzufinden.

Im Alten Testament gibt es öfters die Überzeugung: Wer (jetzt nicht Christus, sondern) Gott sieht, kann das nicht überleben! Und tatsächlich: So ungefähr erlebt es Johannes hier mit dieser Erscheinung:

Als ich ihn sah, fiel ich wie tot vor seinen Füßen nieder.

Diese außergewöhnliche Erfahrung haut Johannes um. „Wie tot“. – Oder ist es umgekehrt? Hat Johannes eine Nahtod-Erfahrung? Also erst quasi tot, und dann diese Eindrücke, für die es gar keine angemessenen Worte gibt? So wie andere in neuerer Zeit, bei denen Herz und Hirn nichts Messbares mehr tun, und die später, wenn sie wieder zurück sind, Unbeschreibliches beschreiben, das sie auf Dauer total verändern wird?

Jedenfalls: Wäre Johannes „wie tot“ liegengeblieben, und anschließend „ganz tot“, wir würden uns heute nicht über seine Offenbarung Gedanken machen.

Es endet aber nicht mit seinem Tod, es geht weiter:

Er aber legte seine rechte Hand auf mich und sagte: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch siehe, ich lebe in alle Ewigkeit und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt. (Alles: Offenbarung 1, 10-18)

Die rechte Hand, die Johannes berührt. Und dieses „Fürchte dich nicht!“

Was Johannes hier zunächst so umgehauen hat, war, was er sah. Sehen, das geht auf Abstand. Mindestens ein paar Zentimeter Abstand, sonst erkennen Sie nichts.

Und höchstens? Wir können immer noch Sterne sehen, die in Echt seit vielen Jahren erloschen sind. Das Licht schafft 300.000 km in der Sekunde. Wenn die Lichtquelle nur stark genug ist, kann der Abstand auch riesig sein.

„Er aber legte seine rechte Hand auf mich“. Eine Berührung. Das geht nur ohne Abstand. Unmittelbar. Der, der vorher glänzt und scheint in seiner Erhabenheit, der ist nun ganz, ganz nahegekommen. Das hat was Zärtliches.

Und dann: Worte. „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch siehe, ich lebe in alle Ewigkeit und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt.“

In Berührung mit diesem Christus zu sein, das sollte wirklich den Zustand „wie tot zu seinen Füßen“ beenden. Denn Christus selbst ist ja der Lebendige. Der Auferstandene. Der, der Tod und Unterwelt abschließt, sie dichtmacht.

Heutzutage: Auf dem Dauerbegleiter Smartphone gibt es eine Flut von Bildern. Der längere Text, das Buch, das gute Argument sind auf dem Rückzug. Auch kann das Smartphone einen nicht berühren, vom Vibrationsalarm mal abgesehen.

Eine Berührung aber kann aufrichten. Klare Worte können Angst nehmen oder die Angst wenigstens begrenzen. Wie sagt der Prophet Jesaja?

Hin zur Weisung und hin zur Offenbarung! Werden sie das nicht sagen, so (…) werden sie über sich blicken und unter sich die Erde ansehen und nichts finden als Trübsal und Finsternis. Denn sie sind im Dunkel der Angst und gehen irre im Finstern. (Jesaja 8, 20 ff.)

Wenn Sie diese Andacht bis hier geschafft haben: Herzlichen Glückwunsch! Sie haben sich mit Worten auseinandergesetzt ohne ein einziges Bild dazu. Das ist unmodern, aus der Zeit gefallen. Aber es ist wahrscheinlich gut für die Seele: Nicht im Dunkel der Angst umherzuirren, sondern auf den zu hören, der die Schlüssel zu Tod und Unterwelt hat. Und der sagt: „Fürchte Dich nicht!“

Über Dirk Klute

Dirk Klute, Jahrgang 1965. Ich bin promovierter Theologe und Dipl.-Psych., arbeite als Pfarrer in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie und in einer Maßregelvollzugsklinik. Ich lebe in Münster (Westfalen). Ich fahre viel Fahrrad und mache gern Musik.
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